Das Wohl von Herrchens und Frauchens Lieblingen liegt der Firma adivo besonders am Herzen. Um Haustieren bei schweren Erkrankungen helfen zu können, ist das Martinsrieder Start-up volles Risiko eingegangen und hat schlussendlich eine beachtliche Antikörper-Bibliothek erstellt.
Dieser Artikel erschien zuerst im Laborjournal, Ausgabe 04/2019.
Als ihr Hund zum zweiten Mal an Krebs erkrankte, erkannte adivo-Mitgründerin Kathrin Ladetzki-Baehs eins: zur Behandlung schwerer beziehungsweise chronischer Erkrankungen bestehen bei Haustieren kaum Optionen. In Gesprächen mit Kollegen bei ihrem damaligen Arbeitgeber MorphoSys reifte eine Idee: Ladetzki-Baehs möchte therapeutische Antikörper zur Behandlung schwerwiegender Erkrankungen entwickeln – sowohl bei Hunden als auch anderen Haustieren.
„Ich bin eine leidenschaftliche Tierbesitzerin und daher bereit, für wirksame Therapien durchaus Geld auszugeben. Denn mein Tier ist nicht einfach so ersetzbar“, erklärt Ladetzki-Baehs. „Und es gibt sicher viele Tierbesitzer, die das genauso empfinden.“ Ausgehend von dieser Prämisse entstand ein Projekt, das sie und bald auch ihr Kollege Markus Waldhuber neben ihren eigentlichen Jobs bearbeiteten. Ladetzki-Baehs: „Eine Ausgründung war nie geplant, es war einfach ein Projekt, das wir machen wollten.“
Glücklicherweise waren die Technologien und das Know-how zur Entwicklung des Kernstücks der Idee – der synthetischen caninen Antikörper-Bibliothek – bereits bei MorphoSys vorhanden und mussten „nur“ noch umgesetzt werden. Ein kleines Team entwickelte die Bibliothek innerhalb von zwei Jahren. Die offizielle Gründung von adivo sowie der Einzug in das Innovations- und Gründungszentrum in Martinsried erfolgte im März 2018. Die Vorarbeit dazu erledigten die beiden Gründer:innen größtenteils nach Feierabend und am Wochenende.
Volles Risiko
„Die Gründung war volles Risiko“, gibt Ladetzki-Baehs zu, denn zu diesem Zeitpunkt befanden sich die Martinsrieder:innen noch mitten in Gesprächen mit Investoren, da ein weiterer Geldgeber fehlte. „Jemanden zu finden, der überhaupt bereit war, in den vergleichsweise kleinen tiermedizinischen Markt zu investieren, war schon sehr schwierig. Wir sprechen hier von einem jährlichen Umsatz von circa 30 Milliarden Euro – nur ein Bruchteil des humanmedizinischen Marktes“, meint Ladetzki-Baehs und Waldhuber ergänzt: „Zudem haben viele Fonds, bei denen wir es versucht hatten, den Fokus ausschließlich in der Humanmedizin.“
Zugutekam den beiden Gründer:innen, dass die synthetische Antikörper-Bibliothek bereits fertig war, denn: „Kaum jemand will Geld in ein Projekt oder eine Idee investieren, die noch umgesetzt werden muss“, weiß Waldhuber. Mit der fertigen Bibliothek als Argument konnten die Martinsrieder:innen neben MorphoSys und dem High-Tech-Gründer-Fonds (HTGF) auch das Schweizer Investment-Unternehmen Occident Group gewinnen.
All die Überzeugungsarbeit kostete jedoch Zeit, sodass erst im Sommer 2018 die Seed-Finanzierung feststand. „Bis dahin haben wir das Unternehmen privat vorfinanziert, in der festen Überzeugung, dass es klappen kann“, resümiert Ladetzki-Baehs.
100 Prozent Hund
Die eigens entwickelte Antikörper-Bibliothek ist auch das Alleinstellungsmerkmal von adivo. „Mitbewerbende in unserem Feld nehmen bestehende Antikörper und modifizieren diese, damit sie in der einzusetzenden Spezies keine ungewollte Immunreaktion hervorrufen. Das nennt man im Falle von Hunden Caninisieren, bei Katzen Felinisieren. Dieser Ansatz kann sehr erfolgreich sein. Jedoch beeinflussen diese Modifikationen oft auch die Stabilität oder Affinität des Antikörpers negativ, sodass dieser zwar nicht mehr immunogen ist, aber damit auch über eine verminderte Funktionalität verfügen kann“, führt Waldhuber aus.
Bei adivo hingegen werden die Antikörper quasi am Reißbrett entworfen und somit per Design 100 Prozent canin. „Wir haben unzählige Antikörpersequenzen analysiert. In diesem Zusammenhang konnten wir identifizieren, welche Subtypen es im Hund gibt, wie diese verteilt sind, wie ihre Bindungsdomänen aussehen und wie es sich mit der Aminosäureverteilung verhält. Davon ausgehend haben wir dann das Design für unsere Bibliothek entworfen“, erläutert Waldhuber. Die mittels Gensynthese erstellte Bibliothek umfasst derzeit etwa zehn Milliarden Antikörper.
Alles im Phagen
„Gebaut“ haben die Martinsrieder die Bibliothek mittels Phagen-Display. Das heißt, die Sequenzinformationen der Antikörper sind in das Genom von Bakteriophagen direkt hinter dem Gen für das Hüllprotein (dem Capsid) integriert. Werden die Phagen assembliert, wird der Antikörper in Form eines Fusionsproteins mit dem Capsid exprimiert und so an der Oberfläche des Phagen präsentiert.
Dadurch lassen sich die Antikörper gegen ein gewünschtes Antigen in einem einfachen Verfahren selektieren, das in etwa einem ELISA gleicht: Phagen, die einen passenden Antikörper auf ihrer Oberfläche tragen, binden an das auf einer Oberfläche immobilisierte Antigen. Alle anderen werden einfach weggewaschen.
„Der Phagen-Display ist eine sehr etablierte Methode und liefert gute Ergebnisse. Im Gegensatz zu Mitbewerbenden, die häufig auf das zurückgreifen, was bereits vorhanden ist, können wir die Eigenschaften der Antikörper vorher definieren und entsprechende Selektionsstrategien anwenden“, erklärt Waldhuber.
Sind geeignete Kandidaten gefunden, können diese für die weitere Produktentwicklung vorbereitet werden. „Die Stärke von adivo ist die frühe Antikörperentwicklung, wobei wir uns mit der Identifizierung eines Lead-Kandidaten beschäftigen. Die danach folgenden Zulassungsprozesse werden zusammen mit Partnern realisiert, die Experten in den jeweiligen Disziplinen der klinischen Entwicklung sind“, gibt Waldhuber einen Einblick.
Lieber Qualität
Für tiermedizinische Produkte gelten wie auch für humanmedizinische strenge regulatorische Vorschriften und ihre Herstellung erfordert den GMP-Standard. Lediglich die für die klinischen Studien geforderten Kohorten sind weitaus kleiner als in der Humanmedizin. Dafür arbeitet adivo als Start-up mit entsprechenden Partnern.
Hinsichtlich der möglichen Einsatzbereiche der caninen Antikörper sind praktisch keine Grenzen gesetzt. Anvisiert haben die Martinsrieder:innen bis dato aber hauptsächlich onkologische und chronisch-inflammatorische Erkrankungen.
Da in der Behandlung von Haustieren die Erhaltung der Lebensqualität über der reinen Lebensverlängerung steht, haben onkologische Antikörper gerade eher eine nachrangige Priorität. „Beim Menschen ist jeder Monat mit dem Partner, dem Kind oder den Eltern sehr wertvoll. Beim Tier wird dies anders gesehen, die Lebensverlängerung um jeden Preis findet bei Tierbesitzern keine Akzeptanz“, erläutert Ladetzki-Baehs. Bei Therapien für chronisch-inflammatorische Erkrankungen hingegen ist das Nebenwirkungsprofil in der Regel sehr vorteilhaft, und die Therapie führt häufig zu einer schnellen Verbesserung der Lebensqualität.
Laut adivo ist großes Interesse an der Technologie vorhanden, und es gibt diverse Anfragen. Genaueres darüber verraten, wollten die beiden Gründer:innen jedoch nicht.