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Abfangen statt zerstören

Im hohen Norden entwickelt die Firma Brandenburg Antiinfektiva therapeutische Peptide gegen Sepsis und setzt dabei auf Schadensbegrenzung statt unkontrollierter Zerstörung.

Dieser Artikel erschien zuerst im Laborjournal, Ausgabe 06/2019.

Sepsis, im Volksmund auch Blutvergiftung genannt, ist und bleibt eine der schwerwiegendsten Erkrankungen unserer heutigen Zeit. Ausgelöst wird sie meist von Bakterien wie Escherichia coli, Klebsiella pneumoniae oder Staphylococcus aureus und endet nicht selten tödlich.

In Zeiten zunehmender Antibiotikaresistenzen gestaltet sich die Behandlung akut septischer Patient:innen immer schwieriger. Zudem führen Antibiotika oft zur Freisetzung bakterieller Toxine, die den Zustand der Patient:innen temporär noch verschlechtern. Die Brandenburg Antiinfektiva GmbH in Borstel verfolgt mit ihrem Wirkstoff Aspidasept einen neuen Weg, um die Behandlung septischer Patient:innen zu verbessern.

Inspirationsquelle Natur

In den 2000er Jahren beschäftigte sich Klaus Brandenburg am Forschungszentrum Borstel, etwa eine Autostunde nordöstlich von Hamburg, mit Proteinen, die Lipopolysaccharide (LPSs) binden. LPSs sind Bestandteile der äußeren Membran gramnegativer Bakterien wie beispielsweise E. coli und K. pneumoniae und werden freigesetzt, wenn die Bakterien durch das Immunsystem oder Antibiotika zerstört werden.

Problematisch daran ist, dass die Saccharide das menschliche Immunsystem aktivieren, was insbesondere bei Sepsis-Patient:innen oft zu schwerwiegenden Komplikationen führen kann, wie etwa einem Organversagen.

Ausgehend vom LPS-bindenden Protein namens Limulus Anti-LPS-Faktor (LALF), das der atlantische Pfeilschwanzkrebs (Limulus polyphemus) bildet, entwickelte Brandenburg in den folgenden Jahren ein LPS-bindendes Peptid. „Innerhalb von LALF gibt es ein 22 Aminosäuren langes LPS-bindendes Peptid. Darauf konzentrierten sich unsere ersten Untersuchungen. Das Peptid wurde dann synthetisiert und getestet, allerdings war die Inhibition einer LPS-induzierten Entzündung letztlich nicht gut genug“, erinnert sich Brandenburg.

„Dann habe ich angefangen, basierend auf dem biologisch aktiven Lipid-A-Teil des LPS, eine Aminosäuresequenz mit besseren Bindungseigenschaften zu konstruieren, was dann letztlich zu unserem derzeitigen Wirkstoff Aspidasept geführt hat.“ Dabei erinnere die konstruierte Aminosäuresequenz nur noch entfernt an die ursprüngliche Abfolge aus dem Pfeilschwanzkrebs, sonst hätte man das Peptid auch nicht patentieren können, so Brandenburg.

Das von Brandenburgs Gruppe bearbeitete Projekt schlug Wellen und so erhielt er für seine Forschung 2013 den Innovationspreis der BioRegionen Deutschland. Auch bei Pharma- und Medizinunternehmen stieß das Peptid auf großes Interesse; die Ausgründung einer GmbH zur Vermarktung des Wirkstoffs war die logische Konsequenz.

Eine nicht unwesentliche Rolle bei der Unternehmensgründung spielte auch die großzügige Spende von Satoshi Fukuoka, damals Mitarbeiter am Shikoku National Industrial Research Institute in Japan, der sich mit der Analyse bakterieller LPSs beschäftigte. Fukuoka unterstützte die Weiterentwicklung von Aspidasept mit insgesamt 75 000 Euro und ist heute Mitglied des wissenschaftlichen Beirats von Brandenburg Antiinfektiva. Zusätzlich bewarb sich die formal zwar existierende – aber noch nicht operative – Brandenburg Antiinfektiva GmbH für den Gründerpreis der Leibniz-Gemeinschaft, den sie dann im Jahr 2015 auch gewann.

Neben Brandenburg war auch Lena Heinbockel, die bereits in seiner Arbeitsgruppe am Forschungszentrum Borstel geforscht hatte, stark in die Ausgründung involviert und ist eine der insgesamt sieben Gesellschafter:innen des Unternehmens. Heinbockel: „Ich habe im Vorfeld vor allem die präklinischen Studien begleitet – also quasi den Fragenkatalog des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte abgearbeitet.“ Im Rahmen der angestrebten Zulassung des Peptids musste dieses auch pharmakologisch charakterisiert werden. So stieß Anfang 2015 noch Günther Weindl, damals Professor für Pharmakologie an der Freien Universität Berlin, zur Firma hinzu.

Ein neuer Ansatz

Neu an Aspidasept ist dessen Wirkmechanismus. Im Gegensatz zu konventionellen Antibiotika zielt es nicht auf die Bakterien selbst ab, sondern bindet ihre Toxine. Denn wie bereits beschrieben, aktiviert bakterielles LPS das Immunsystem und kann im Falle einer Sepsis die Organe und den ganzen Organismus stark belasten.

Aspidasept versucht dies zu verhindern, indem es LPSs bindet und somit neutralisiert. „Es ist als Kombinationstherapie gedacht. Man gibt weiterhin Antibiotika, um die Bakterien zu töten, und zusätzlich das Peptid, um die frei werdenden Toxine unschädlich zu machen. So beobachten wir trotz Antibiose sehr geringe Entzündungswerte“, meint Heinbockel.

Zudem lagern sich die Peptide in die bakterielle Membran ein und erhöhen so deren Durchlässigkeit. Dadurch verringere sich die Antibiotika-Dosis, erklärt Heinbockel. „Diese Wirkung ist interessanterweise nicht nur auf gramnegative Bakterien beschränkt, sondern richtet sich auch gegen Lipoproteine grampositiver Erreger wie S. aureus und das unabhängig vom Resistenzstatus der Bakterien“, fügt Brandenburg hinzu.

Bestätigt werden konnte die Wirkung der Peptide, insbesondere in Kombination mit gängigen Antibiotika, bereits in zahlreichen Tiermodellen. Doch nicht nur bei Sepsis zeigt das Peptid eine gute Wirksamkeit. Auch bei der Behandlung von Haut- und Weichteilinfektionen beobachten die Forschenden positive Effekte.

Gegenwärtig verfolgt das Unternehmen daher zwei Anwendungsstrategien: So soll Aspidasept zunächst für eine topische Anwendung zugelassen werden, um die Heilung bakteriell infizierter Wunden zu verbessern. „Bei einem Patienten hatten wir damit Erfolg. Dieser hatte eine Wunde, die stark mit Pseudomonaden und S. aureus infiziert war. Die Applikation von Aspidasept führte schließlich zur Heilung“, erinnert sich Brandenburg.

Und auch ohne bakterielle Infektionen hatte das Peptid zur schnellen Wundheilung im Mausmodell geführt, wie Weindl berichtet. „Das hat uns sehr überrascht. Das Peptid allein scheint eine wundheilungsfördernde Wirkung zu haben, was besonders Patienten mit chronischen Wunden zugutekommt.“

Möglicherweise tragen die Peptide zur schnelleren Heilung bei, indem sie die Migration neuer Hautzellen in den Wundbereich anregen, so die Hypothese der Borsteler:innen. „Da haben wir aber noch keine weiterführenden Studien durchgeführt. Das steht als Nächstes auf dem Programm, um zu verstehen, was auf molekularer Ebene abläuft“, sagt Weindl.

Wer sucht, der findet

Zwar konnte die Wirkung des Peptids in zahlreichen Zellkultur- und Mausmodellen gezeigt werden, um eine eindeutige Kausalität zwischen Peptid und Wirkung zu beweisen, muss der Wirkstoff jedoch auch nachgewiesen werden. Dies gestaltet sich kompliziert.

„Für eine Phase-I-Studie muss man für pharmakokinetische Analysen eine sehr niedrige Nachweisgrenze für den Wirkstoff haben, da man mit einer sehr niedrigen Dosierung anfangen muss. Dieser Nachweis hat lange gehakt, weil die Peptide sich an alles anlagern, was hydrophob oder negativ geladen ist“, erklärt Heinbockel und Brandenburg ergänzt: „Das hat uns Jahre gekostet. Frau Heinbockel hat daran gearbeitet und zusätzlich haben wir noch eine Firma beauftragt und viel Geld ausgegeben. Letztlich hat das Walther Mier aus Heidelberg mit einem markierten Peptid lösen können. Das wurde auch kürzlich durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte akzeptiert.“

Neben der Analytik stellt auch die Pharmakokinetik bei Peptidtherapeutika, die nicht auf der Haut, sondern im Körper (systemisch) wirken sollen, häufig ein Problem dar, da diese in der Blutbahn in der Regel durch Proteasen abgebaut werden und für eine Gabe in Form von Tabletten ungeeignet sind. Heinbockel: „Das ist bei Aspidasept auch so; war für uns aber nie so sehr im Fokus, weil wir dadurch ein sehr definiertes therapeutisches Fenster haben. Die Patienten erhalten in der Regel ohnehin bereits Infusionen, sodass wir das Peptid über einen bestimmten Zeitraum infundieren können und wenn wir die Gabe beenden, verschwindet es innerhalb von einer halben Stunde aus dem Blut.“

Produziert wird Aspidasept durch die Firma Bachem GMP-konform (von Good Manufacturing Practice) und in großem Maßstab. Den Syntheseprozess etabliert hat allerdings bereits Brandenburg Antiinfektiva für die Versuche im Tiermodell. Zwar ist die Synthese, eine Festphasen-Peptidsynthese, an sich etwas teurer als beispielsweise eine rekombinante Produktion, allerdings entfallen kostenintensive Reinigungsschritte, die bei der rekombinanten Herstellung erforderlich werden.

„Das ist ganz gut finanzierbar, da man durch die an sich saubere Synthese, keine aufwändige Reinigung braucht“, erläutert Heinbockel. „Wenn man an Peptide oder Proteine denkt, die in Bakterien hergestellt werden, muss man diese Endotoxin-frei bekommen, und das ist ein ziemlicher Aufwand.“

Die meisten präklinischen Studien zu Wirkung und Toxikologie des Peptids sind bereits abgeschlossen, lediglich eine „Nicht-Nager“-Studie steht noch aus. Danach könne man mit der klinischen Unbedenklichkeitsstudie für die Indikation Sepsis beispielsweise am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf beginnen, so Brandenburg.

Um die Zulassung und vor allem die nötigen klinischen Studien voranzutreiben, befindet sich Brandenburg Antiinfektiva derzeit in fortlaufenden Gesprächen mit Pharmaunternehmen und ist auf der Suche nach weiteren Kooperationspartnern sowie Investoren.

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